Sonnenuntergang in Otavalo

Eines Abends, von der Dachterasse aus geschossen.

 

Nun bin ich schon wirklich eine ganze Zeit lang hier in Ecuador und nachdem meinem Visumsantrag stattgegeben wurde, auch noch ein bisschen länger (wie geplant). Seit meiner Ankunft habe ich natürlich schon einiges erlebt, aber wie eine Reise fühlt es sich auch jetzt noch nicht an. Ein Auslandsaufenthalt. Ein besseres Wort fällt mir dazu nicht ein. Meine anfangs durch den Sprachschulbesuch erzwungene Sessilität ist mir auch (nahezu) geblieben. Nach meinem etwa zweiwöchigen Ausflug in das (sehr touristische) Vogelparadies Mindo, war ich zuerst nach Otavalo zu meiner Gastfamilie zurückgekehrt um in Ruhe mein Visum zu beantragen. Dass das ganze etwa drei Wochen und fünf Besuche bei der zuständigen Behörde dauern würde, hatte ich nicht gedacht oder zumindest nicht erhofft. Schlussendlich ist aber alles gut gegangen, eigentlich sogar sehr gut. Die Behördenbesuche waren auf jeden Fall auch eine interessante Erfahrung und auch wenn mein Spanisch noch weit davon entfernt ist, wo ich es gerne hätte (leider sehr weit), hat es dafür gut gereicht. Danach hatte ich mich leicht erkältet, was eigentlich ironisch ist, da jeder um mich herum friert, nur ich nicht. Gerade wegen dieser Ironie habe ich auch meiner Gastfamilie erklären müssen, dass man durch Keime und nicht durch Kälte krank wird und erstere habe ich mir vermutlich im Bus oder sonstwo eingefangen. Natürlich nicht bei dem Konsum eines Eises, welches hier von Verkäufern und vor allem Verkäuferinnen hier bei praktisch jeder Busfahrt gehandelt wird. Genauso wie Knabberzeug und teilweise auch Obst. Das Prinzip ist einfach. Der Bus bleibt nicht nur an Haltestellen stehen, sondern nahezu überall, wo Leute einsteigen wollen und manchmal sind es eben Händler. Die steigen ein, preisen ihre Produkte an (Heladito, heladito, heladito, 25 centavitos, 25 centavitos, saborito de morita, heladito, heladito), verkaufen etwas oder auch nicht und springen wieder aus dem Bus und wiederholen das Ganze mit dem nächsten Bus. Während man bei uns in öffentlichen Verkehrsmitteln meistens deutlich mehr zahlt, als im Supermarkt (in einem Zug in die Schweiz hatte ich einmal vergessen ein Getränk mitzunehmen und musste für 0,33l Mineralwasser 5€ zahlen… ), sind hier die Preise meistens gleich, wie in den Geschäften oder Straßenständen. Trotzdem. Offenes Softeis würde ich auch bei uns aus Sorge vor Salmonellen (und Ähnlichem) nicht kaufen. Nachdem ich mich an so einfache Prinzipien halte, hatte ich auch bislang noch keine Verauungsbeschwerden, wie über leichtes Unwohlsein oder Blähungen hinausgingen. Ganz im Gegensatz zu meinem Gastcousin, der letzte Woche aus Spanien ankam und hier seinen ersten elternlosen Urlaub verbringt und dem es einmal zwei Tage nicht sonderlich gut ging und viel Erbrechen musste und den es jetzt schon wieder erwischt hat. Auch mein Sprachlehrer meinte, dass es _jedem_ Touristen über kurz oder lang so gehen würde und meine Gastfamilie hatte ebenfalls Probleme, als sie nach etwa 12 Jahren aus Spanien nach Ecuador zurückgekehrt waren. Ich schiebe es jedenfalls darauf, dass ich Vegetarier bin und auch so wenig geneigt bin halbrohe Schnecken in Zitronensauce zu essen. Und auf meinen Saumagen. Ein Wort, das meine Gastmutter Erika auf Deutsch lernen wollte, denn ihr Mann Darwin besitzt angeblich ebenfalls einen (und wäre gerade die Aussprache für Erika nicht zu schwer, wäre es jetzt auch vermutlich Darwins neuer Kosename ;) ). Auch ansonsten geht es mir gut und selbst wenn ich nicht die ganze Zeit herumreise und deswegen auch etwas Unruhe verspüre (in dem Sinne, dass ich die Zeit zu wenig nutzen würde), fühle ich mich doch in aller erster Linie sehr, sehr wohl und irgendwie auch daheim. Inzwischen war ich auch auf mehr Familienfeiern und -treffen als zuvor gesamt in meinem Leben. Größere Familientreffen haben für mich auch immer etwas, das ich auf Deutsch schwer beschreiben kann. „Awkward“ trifft es vielleicht am besten, nicht peinlich, aber auch nicht wirklich entspannt. Hier bei jeder Familienfeier dabei zu sein, war gerade am Anfang für mich wirklich etwas seltsam. Irgendwie ist es das auch jetzt noch, aber zumindest bin ich es langsam etwas gewohnt. Auch wenn ich das Skurile nicht abschütteln kann. Etwa als der Andi, der Cousin/Neffe aus Spanien ankam. Erika hatte mich im Vorfeld schon gefragt, ob ich nicht zum Flughafen mitkommen möchte. Ich habe mich um eine so nichtssagende Antwort wie möglich bemüht und würde schon automatisch eingeplant. Als es dann am Vortag wirklich darum ging, ob oder ob nicht, meinte ich, dass es vermutlich für Andi ziemlich seltsam wäre, wenn die ganze Familie ihn empfangen würde… und dann noch ein deutscher Tourist extra. Meine Gastfamilie wiegelte ab und ich wiederholte mehrmals, dass es für ihn vermutlich recht seltsam wäre… mit dem Resultat, dass ich mitkommen sollte. Dann fiel eine Mitfahrgelegenheit aus und es schien sich von selbst erübrigt zu haben, ich ging laufen und als ich zurückkehrte, hatte sich eine Alternative gefunden. Also kam ich mit. Die Kamera nahm ich mit, um zumindest für die Familie Fotos zu machen, quasi als Daseinsberechtigung. Mit einer Ecuadorianischen Familie am Flughafen zu warten, war dann auch definitiv eine Erfahrung. Nicht nur wegen meiner Gastfamilie. Auch andere Familien begrüßten sehr emotional und überschwänglich ihre zurückkehrenden oder zu Besuch kommenden Verwandten. Auf Andi mussten wir allerdings eine ganze Weile warten, da der Flieger etwas Verspätung hatte und ihn der Zoll auch noch etwas getriezt hatte. Dann war es soweit und etwa 15 Großeltern, Tanten, Cousinen und sonstige Verwandtschaft stürzten sich auf den müden, sechzehnjährigen Andi, der zum ersten Mal geflogen war und zum ersten Mal ohne Eltern unterwegs war. Also so fast. Denn über Smartphone und Videotelefonie waren natürlich auch die Eltern bei der Ankunft dabei. Es war ein Kuddelmuddel, bei dem Andi etwas überfordert gewirkt hatte (allerdings ist er auch von Haus aus etwas schüchtern und zurückhaltend, da ist es schwierig einzuschätzen). Die meisten Verwandten hatte er noch nie gesehen und viele wurden ihm erst vorgestellt. Ich hielt mich komplett im Hintergrund zurück, schoss ein paar Fotos für die Familie und dann setzte sich der Tross in Richtung Autos in Bewegung. Dann fiel der Abuelita (Oma) auf, dass Andi und ich uns noch nicht gegenseitig begrüßt und vorgestellt hatte, hakte sich bei meinem Arm ein und zerrte mich Richtung Andi. Das bemerkte auch Erika, die dann Andi zum Stehenbleiben anrief und mich ihm vorstellte: „Das ist Quirin, aus Deutschland. Der wohnt gerade bei uns.“, oder so ähnlich. Eine kurze Begrüßung später, war ich dann wieder im Hintergrund verschwunden und fragte mich, für wen die Situation nun seltsamer gewesen war. Tja, aber irgendwie sind es auch solche Erfahrungen, weswegen es mich nicht unbedingt wegzieht, so seltsam es klingt. Denn hier mit der Familie zu leben ist einfach etwas anderes, wie „normaler“ Urlaub und es ergeben sich ständig neue Gespräche und ich erfahre ständig neue Dinge über das Umfeld, das Land, die Familie und mehr. Etwa, dass Darwin seine Frau noch nicht ein einziges Mal in seinem Leben geduzt oder beim Vornamen genannt hat. Oder dass Ecuador in Ibarra versucht eine Eliteuni aufzubauen und dem Unipräsidenten sowie seiner Frau jeweils 30 000 Dollar beziehungsweise den Dekanen je über 15 000 Dollar Gehalt pro Monat zahlt. Bei derzeit mageren ~1500 Studenten. In vier Jahren sollen es 10 000 werden, aber die gesteckten Ziele wirken in jederlei Hinsicht utopisch. Vor dem Hintergrund wirkt es trotzdem mehr als zynisch, dass mein Gastvater als Alleinverdiener an selbiger Uni als Fahrer/Chauffeur für die Professoren nur etwas mehr als den ecuadorianischen Mindestlohn verdient. Bei Lebenshaltungskosten, die vergleichbar sind mit unsrigen (Miete hier ist größtenteils günstiger, alles andere etwas bis extrem viel teurer). Tja… und jetzt steht auch bald Urlaub mit meiner Gastfamilie an! Aber jetzt bevor ich noch weitere Seiten schreibe, lese ich erstmal und vor allem endlich mein erstes normales spanisches Buch fertig (Juan Salvador Gaviota, empfehlenswert).

 

Playa de Ranas

Auch wenn ich nirgends Frösche gesehen habe, ein schöner Ort am Rande des privaten Schutzgebietes Las Tangaras

 

 

PS: Zum Thema extrem viel teurer: Ihr erinnert euch vermutlich noch an meine Flossen, die ich gemeinsam mit meinem Neopren zuhause gelassen habe. Tja. Jetzt befinden sie sich in einem Paket hierher. Denn für Apnoeflossen, die bei uns 60€ kosten, muss man hier 250 $ auf den Tisch legen. Ordentlich gebraucht immerhin noch 100$, über OLX, eine Verkaufsplattform, ohne Verkäuferbewertungen, Identitätsnachweis oder sonstiger Sicherheit … und natürlich nur per Vorkasse… Selbst normale Flossen, die nicht kompletter Schrott sind, kosten 60$ beim Händler, wenn man einen findet. Da ist der Versand deutlich günstiger und im Zweifelsfall könnte ich das Zeug hier gebraucht für mehr Geld verkaufen, als ich daheim dafür neu zahle. Deswegen kommt auch noch ein zweiter Schnorchelsatz mit und am Meer gibt es dann Schnorchelkurs für meine Gastfamilie!